Prima Klima im Automobil? Fehlende Lufthygiene in Kraftfahrzeugen

Im Dezember stellte der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) den Entwurf der Richtlinie VDI/ZDK 6032 Blatt 2 „Lufttechnik; Luftqualität in Fahrzeugen; Hygieneanforderungen an die Lüftungstechnik; Pkw/Lkw“ vor. Sie beschreibt als anerkannte Regel der Technik die wissenschaftlich-technischen Maßgaben für die hygienische Wartung mobiler Lüftungstechnik. Warum? Weil Autoklimaanlagen ein hohes hygienisches Risiko bergen.

Anlass: Lufthygiene mangelhaft

Als einzige Hygiene Maßnahme für gesunde Raumluft im Auto geben Kfz-Hersteller den Austausch des Innenraumluftfilters vor. Dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) ist das zu wenig, er sieht erheblichen Regelungsbedarf in Sachen Raumluft-Hygiene.

Deshalb haben sich zwei Jahre lang automobile Experten unterschiedlicher Disziplinen intensiv mit der Erstellung einer technischen Hygiene-Richtlinie befasst. Das Ergebnis sind regelmäßige Reinigungsempfehlungen für Kraftfahrzeug-Klimaanlagen die sowohl die eigentliche Klimaanlage aber auch das Filtersystem in Pkw und Lkw umfassen.

Die neu als Entwurf erschienene Richtlinie VDI/ZDK 6032 Blatt 2 „Lufttechnik; Luftqualität in Fahrzeugen; Hygieneanforderungen an die Lüftungstechnik; Pkw/Lkw“ beschreibt und bewertet nicht nur einen gewünschten Ist-Zustand, sondern formuliert Anforderungen, um gesunde Luft im Auto kontinuierlich sicherzustellen und als längst überfälligen Standard in einer automobilen Gesellschaft zu etablieren. Ziel dieser Richtlinie ist es, Fahrzeugherstellern, Konstruktionsverantwortlichen, Zulieferern, Fuhrparkverantwortlichen, Arbeitgebern und Kfz-Werkstätten wichtige technische Empfehlungen zu geben, um mit dem Stand der Technik Innenraumlufthygiene – oder ganz einfach gesunde Luft im Pkw und Lkw – nachhaltig sicherzustellen und damit Mobilität und Verkehr diesbezüglich risikoärmer, attraktiver und vor allem zeitgemäß zu gestalten.

Auch neuere Fahrzeuge von gesundheitsgefährdenden Verschmutzungen des Lüftungssystems betroffen

Dr. Andreas Winkens ist u.a. Vorsitzender des Richtlinienausschusses der Richtlinienreihe VDI 6022 – Raumlufttechnik, Raumluftqualität. In einer von ihm 2021 durchgeführten Studie zur Lufthygiene in Kraftfahrzeugen wurden teils erhebliche Hygienemängel festgestellt: “Würde man das in der Innenraumluft von Gebäuden finden, würde das sehr umfangreiche und spontane Maßnahmen nach sich ziehen!”, betont Dr. Winkens. So waren die Befunde bei der Hälfte dieser Fahrzeuge neuerer Bauart zwar noch unauffällig, 30 Prozent aber wiesen bereits erhöhte partikuläre, mikrobiologische und chemische Belastungen der Zuluft auf. Bei 20 Prozent waren die Ergebnisse als höchst bedenklich einzustufen.

Folgen mangelnder Lufthygiene

Der stete Eintrag organischer, mikrobiologischer und chemischer Verunreinigungen in die kleine Fahrgastzelle kann zu einer hohen Schadstoffkonzentration in der Atemluft führen. Gerade allergie- oder asthmageplagte sowie chemikaliensensible Menschen können darunter leiden. In Abhängigkeit von Häufigkeit, Dauer und Intensität der Exposition im Fahrzeuginnenraum sind jedoch Befindlichkeits- und gesundheitliche Auswirkungen auch bei weniger sensiblen Personen nicht auszuschließen.
Werden die Hygienemängel in der Kfz-Klimaanlage durch unangenehme Gerüche offenbar, könne von einer bereits hochgradigen mikrobiellen Verschmutzung ausgegangen werden, so Dr. Winkens.

Hygienefalle Innenraum- und Pollenfilter

Filter schützen nicht nur die Fahrenden und Mitfahrenden vor Stäuben, Ruß, Reifen- und Bremsenabrieb, vor Bakterien, Schimmelpilzen und Pollen in der Außenluft, sondern auch die luftführenden Anlagenteile der Klimaanlage. Filter mit Aktivkohleanteil können zudem Gerüche, VOCs (flüchtige organische Verbindungen) und Gase wie Stickoxide und Ozon aus dem Luftstrom filtern.
Jedoch ist früher oder später die Kapazität jedes Filters erschöpft. Die Filterwirkung lässt nach, neben anorganischem Staub reichern sich im Staubkuchen auch Mikroorganismen und Allergene an. Vor allem Schimmelpilze können durch das Filtermedium hindurchwachsen und geben in der Folge ihre Sporen in die Raumluft ab.
Abgeschiedene Pollen zerfallen im Laufe der Zeit, dies besonders im Herbst und Winter, woraufhin ihre extrem kleinen Allergene das Filtermaterial durchdringen und ebenfalls in die Zuluft gelangen können. Demnach kann es auch außerhalb des saisonalen Pollenfluges zu allergischen Reaktionen bei Fahrzeuginsassen und -insassinnen kommen.
Naheliegend ist ein regelmäßiger Filterwechsel, um dieses Lufthygieneproblem zu lösen. Und doch zeigen sich in der gängigen Praxis Diskrepanzen zwischen wissenschaftlich- technischer Theorie und praktischer Realität.

Wechselintervall

In Bezug von Luftvolumen zu Filteroberfläche sind die Innenraumluftfilter in Kraftfahrzeugen einem sehr hohen Luftdurchsatz ausgesetzt. Das heißt, dass schon nach kurzer Zeit eine Beladung des Filtermediums mit Allergenen, Schimmelpilzsporen und anderen Schadstoffen in teils hoher Konzentration erfolgt. Obwohl übliche Filter in der Regel nach maximal 15000 Kilometern Fahrstrecke am Ende ihrer Kapazität sind, belaufen sich Wechselintervalle für Innenraumluftfilter auf 24 bis zu 36 Monate oder 50000 Kilometer Laufleistung. Dabei müsste ein Filterwechsel wenigstens einmal jährlich erfolgen!
Besondere Einsatz- bzw. Umgebungsbedingungen – z. B. in der Land- oder Forstwirtschaft, auf dem Bausektor u. v.a. – müssen noch kürzere  Wechselintervalle zur Folge haben. Menschen mit z. B. Pollenallergie ist sogar ein Wechsel nach der Pollensaison im September/Oktober sowie nach dem Winter zu empfehlen, also alle sechs Monate.

Unzulänglichkeiten beim Filterwechsel

Nicht selten zeigt die Praxis die Methode „alter Filter raus, neuer Filter rein“! Geht man davon aus, dass die Filter bei den verbreiteten Wechselintervallen ohnehin überladen sind, ist in aller Regel auch das Filtergehäuse bereits erheblich verschmutzt. Wenn beim Filtertausch die Filterumgebung nicht gereinigt wird, bevor ein neuer eingesetzt wird, so wird dessen Reinluftseite bereits beim Einsetzen kontaminiert.
Besonders im Do-It-Yourself-Umfeld findet sich gar manches Mal noch die Praxis: “Einmal gut abgeklopft, ausgeblasen oder drüber gesaugt ist genug gereinigt”. Davon abgesehen, dass es unmöglich ist, auf diese Weise eine angemessene Filtereffizienz wiederherzustellen, empfiehlt es sich keinesfalls, derart mit gebrauchten Luftfiltern umzugehen: In der Regel sind sie mit hohen Konzentrationen an Schadstoffen, Mikroorganismen und Allergenen beladen, die hierdurch in einer gesundheitsgefährdenden Staubwolke freigesetzt werden.

Hygienefalle Verdampfer

Im Betrieb scheidet sich am Wärmeübertrager des Verdampfers Kondenswasser ab. Dieser Feuchtigkeitsfilm bietet beste Bedingungen für eine mikrobiologische Besiedelung. Bakterien und Schimmelpilze vermehren sich dort rasant. Mängel im Bereich des Innenraumluftfilters verstärken die mikrobielle Belebung noch weiter, indem mit Staub, Pollen, Sporen und anderen Partikeln zahlreiche keimfördernde Nährstoffe ins feuchte Milieu eingetragen werden.
In der Folge finden sich in der Zuluft aus dem Lüftungssystem Keime, Allergene und weitere Verschmutzungen in oft hohem Maße. Daneben werden auch teils toxische Zerfallsprodukte von Bakterien (Endotoxine) bzw. Stoffwechselprodukte von Schimmelpilzen (Mykotoxine) mit dem Luftstrom ins Wageninnere befördert. Schon in geringen Konzentrationen bergen diese Toxine ein besonders hohes Gesundheitsrisiko.

Kernproblem Feuchtigkeit

Um dem Problem des keim- und verschmutzungsfördernden Feuchtigkeitsfilmes entgegenzutreten, bieten manche Fahrzeuge neuerer Bauart die Möglichkeit einer “Nachtrocknung”. Hier wird nach Abstellen des Fahrzeuges auf kleiner Stufe ein Luftstrom im Lüftungssystem erzeugt, mit dem ein Abtrocknen der entsprechenden Komponenten erzielt werden soll. Dieses Verfahren kommt der oftmals formulierten Empfehlung nahe, zehn Minuten vor Fahrtende die Klimaanlage außer Betrieb zu nehmen und die Lüfterdrehzahl zu erhöhen. Zumindest mit manuellen oder halbautomatischen Klimaanlagen kann hiermit ebenfalls ein Trocknungseffekt erzielt werden.
Beiden Verfahren gemein ist, dass feuchtigkeitsgebundene Verschmutzungen für eine Weile etwas reduziert, aber keinesfalls verhindert werden können. Fazit: Schadet nicht, ist jedoch kein Ersatz für Filterwechsel und Reinigung!

Die Sache mit der Reinigung

Festzuhalten ist: Es geht um REINIGUNG! Maßnahmen z. B. mithilfe von Desinfektionsaerosolen (”Klick-Dosen”), die im Umluftbetrieb die Anlagenteile durchströmen und “säubern” sollen, zeigen sich als nahezu wirkungslos. Es fehlt die Reinigungswirkung, die sich als mechanischer Abtrag von Verschmutzungen definiert. Insbesondere der sogenannte Biofilm – mikrobieller Lebensraum feucht-schleimiger Konsistenz – verbleibt in der Anlage und schützt die darin lebenden Mikroorganismen sogar vor Desinfektionsmitteln.
Selbst keimabtötendes Ozon zeigt deshalb zumeist nur kurzfristige Wirkung. Im Übrigen besteht auch die Gefahr, dass dieses starke Oxidationsmittel zerstörend auf Materialien der Fahrzeugausstattung einwirkt.
Ohnehin muss in Lüftungsanlagen auf Desinfektionsmittel verzichtet werden, da diese sich teils länger anhaltend in der Atemluft verbreiten und so ein weiteres Gesundheitsrisiko darstellen können.
Gleichermaßen ist auch einem “frühlingsfrischen Frischeduft” aus der Lüftungsanlage mit Skepsis zu begegnen. So sind künstliche Düfte keineswegs Indiz für Sauberkeit. Im Wesentlichen überlagern die Duftstoffe lediglich unangenehme Gerüche, die Verschmutzung bleibt bestehen. Daneben definiert sich gesundheitlich zuträgliche Atemluft, eine Forderung u.a. der Berufsgenossenschaft für Arbeitsplätze, durch Reinheit. Jegliche Anreicherung mit Desinfektionsmitteln oder Duftstoffen kommt einer Verunreinigung gleich, die wiederum gesundheitliche Gefährdungen im Schlepptau haben kann.

Kompetente Wartung und Reinigung?

Unter Klimaservice, Klimacheck und ähnlichen Begriffen bieten Service- und Kfz- Werkstätten  Wartungsleistungen für die Klimaanlage an. Schwerpunkte dabei sind allerdings zumeist Funktions- und Dichtigkeitsprüfungen sowie Füllstandskontrolle des Kältemittels. Manchmal erfolgt noch ein Filterwechsel, die Reinigung des Klimasystems aber gehört meist nicht dazu.
Die Reinigung von Kfz-Klimaanlagen ist eine wichtige Maßnahme zum Gesundheitsschutz und erfordert eine sachkundige Verfahrensweise. Festzustellen ist jedoch oftmals, dass fundierte Hygienemaßnahmen im Werkstattalltag nahezu unbekannt sind, Know-how und technische Ausstattung fehlen oft.

Auch die Automobilindustrie ist aufgerufen, sich am Hygieneschutz nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik zu orientieren

Neben der Anpassung der Wartungsintervalle ist auch die konstruktive Wartungszugänglichkeit eine Voraussetzung dafür. Dazu gehören z. B. Reinigungsöffnungen zur regelmäßigen hydromechanischen Reinigung des Wärmeübertragers am Verdampfer. Ebenso hohe Filterpassgenauigkeit und zuverlässiger Dichtsitz, der auch nach Wechsel des Mediums gewährleistet ist, sowie dauerhafte Dichtigkeit von Filtergehäuse und Luftkanälen. Nicht zuletzt ist eine hohe Filterklasse obligatorisch. Im Sinne der VDI-Richtlinie 6032 wird ISO ePM1 50 % oder höher empfohlen.

Lösung, VDI Empfehlung

Was Autofahrerinnen und -fahrer tun können

Lassen Sie mindestens einmal jährlich einen Wechsel Ihres Innenraumluft- und Pollenfilters durchführen und weisen Sie auch auf die Reinigung des Filtergehäuses hin. Stets gleichzeitig mit dem Filterwechsel sollte eine Verdampferreinigung beauftragt werden. Dabei soll kein Desinfektionsaerosol angewendet werden, sondern eine Hochdruckspülung mit biozidfreiem Flüssigreiniger erfolgen.

 


Quellen:

www.vdi.de/news/detail/lufthygiene-in-fahrzeuginnenraeumen

Bildmaterial: Wikimedia, www.wikimedia.de

 

 

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